Menschen mit Dysphagie verlieren nicht nur ihre Fähigkeit zu schlucken,
sie verlieren oft auch ihre Stimme, ihre gesellschaftliche Präsenz und ihren Platz am Tisch.
Kulinarische Inklusion will das ändern: Es geht nicht um Diäten, sondern um Würde. Nicht um Breikost, sondern um Begegnung.
Ein Teller kann verbinden – oder isolieren.
Wir arbeiten daran, dass niemand durch ein Stück Brot zum Außenseiter wird.
Eine Initiative für kulinarische Inklusion – vom Netzwerk Patientenkompetenz e.V.
Ich bin selbst betroffen. Ein Zungengrundtumor hat mein Leben tiefgreifend verändert. Was früher ein selbstverständlicher Teil sozialer Begegnung war – ein gemeinsames Essen im Restaurant –, wurde zur Bedrohung: Ich erinnere mich an eine Situation, in der ich mein Essen auf den Teller erbrechen musste, um nicht zu ersticken. Die Luftröhre war blockiert. Kein Luftzug mehr, keine Hilfe in Sicht – nur Scham.
Wer das einmal erlebt hat, weiß, wie schnell aus einem Gast ein gesellschaftlicher Außenseiter wird. Man geht nicht mehr essen – aus Angst, aus Unsicherheit, aus Selbstschutz. Und oft bleibt nicht nur der oder die Betroffene weg, sondern auch der Freundeskreis, die Familie, die Gemeinschaft.
Die Spätfolgen nach Operationen, Bestrahlung oder Chemotherapie im Kopf-Hals-Bereich sind gravierend: deformierte Zungen, Kehlköpfe, Speiseröhren – und eine tiefgreifende soziale Isolation. Viele Überlebende solcher Erkrankungen sind nicht nur körperlich, sondern auch seelisch schwer belastet. Depressionen und Suizidgedanken sind leider keine Seltenheit.
Dabei ist Hilfe oft einfacher, als man denkt:
Ein gutes Restaurant, eine achtsame Küche – sie können mit wenig Aufwand Gerichte so zubereiten, dass sie auch von Menschen mit massiven Schluckstörungen genossen werden können. Würdevoll.
Anspruchsvoll. Gemeinsam.
Unsere Initiative möchte:
Aufklären, wo bisher Schweigen herrschte
Sensibilisieren, wo Unwissenheit herrschte
Teilhaben lassen, wo Ausgrenzung drohte
Wir nennen das kulinarische Inklusion.
Denn Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme. Es ist Kultur. Begegnung. Lebensqualität.
Jens Rusch August 2025
Es ist Samstagabend. Meine Familie hat sich auf einen Restaurantbesuch gefreut – etwas, das wir früher oft und gern gemacht haben. Ich war skeptisch. Schon beim Gedanken an die Speisekarte begann mein Hals zu krampfen.
Ich bestellte ein Gericht, das weich erschien – Kartoffelgratin, etwas gedünstetes Gemüse, ein Fischfilet. Beim ersten Bissen ging alles gut. Beim dritten jedoch nicht.
Die Speise blieb wie ein Kloß im Hals stecken. Ich versuchte zu schlucken, aber es ging nicht. Ich bekam keine Luft. In Panik zog ich den Bissen wieder hoch – mit aller Gewalt. Ich musste ihn auf den Teller spucken, um meine Luftröhre freizubekommen.
Im Lokal wurde es still. Die Leute an den Nachbartischen schauten betreten zur Seite. Meine Familie senkte die Blicke.
Ich entschuldigte mich, verließ das Lokal. Wir sind nie wieder essen gegangen.Ich habe nicht aufgehört zu essen. Aber ich habe aufgehört, ein Teil dieser Welt zu sein, in der Menschen beim Essen lachen, reden, genießen.
Man merkt uns nicht an, dass wir krank sind. Aber wir verschwinden langsam aus dem öffentlichen Leben.
Das Krebsberatungszentrum Westküste öffnete kürzlich seine Türen für einen wichtigen Themenschwerpunkt: Kopf-Hals-Mund-Tumoren. Im Rahmen des Projekts UTA (Unterwegs trotz alledem) und in Kooperation mit der Schleswig-Holsteinischen Krebsgesellschaft stand der Abend ganz im Zeichen von Prävention, Früherkennung und Unterstützungsangeboten.
Zahnärztin Inke Jeß (ganz links) erläuterte in ihrem Vortrag anschaulich, welche Rolle Zahn- und Mundgesundheit bei der Entstehung und Früherkennung von Tumoren spielt. Sie betonte insbesondere die Bedeutung regelmäßiger zahnärztlicher Kontrollen: „Viele Veränderungen in der Mundhöhle lassen sich frühzeitig erkennen – wenn man genau hinschaut und regelmäßig kontrollieren lässt.“
Einen sehr persönlichen Einblick gewährte Gunthard Kissinger, (dritter von links) Projektleiter von UTA und selbst Betroffener. Offen sprach er über die Herausforderungen, die viele Patienten nach der Behandlung dauerhaft begleiten – insbesondere beim Essen: „Die Probleme beim Schlucken oder Kauen bleiben häufig ein Leben lang. Wir möchten Betroffenen zeigen, wo es gute Unterstützung gibt.“ Mit seinen Erfahrungen sprach Gunthard Kissinger vielen aus der Seele und wies dabei auf die Hilfsangebote des Projekts UTA hin. Das Selbsthilfenetzwerk Kopf-Hals-M.U.N.D.-Krebs hat unter anderem die Broschüre „Essen mit Freude“, die praktische Tipps rund um Ernährung und Lebensqualität bietet. Sie kann online unter www.kopf-hals-mund-krebs.de/informationsmaterial angefordert werden. Außerdem empfahl er die App „Kopf-Hals-Mund-Krebs“. Sie bietet eine digitale Anlaufstelle für Betroffene, Angehörige, Selbsthilfegruppen und Kontaktpersonen in ganz Deutschland.
Im Anschluss an die beiden Vorträge nutzten die Besucher die Gelegenheit, Fragen zu stellen und sich mit den Referierenden und anderen Gästen auszutauschen. Für alle war am Ende des Abends klar: „Das Thema der Krebsvorsorge im Kopfbereich muss präsenter werden – privat und in der Öffentlichkeit“, so Petra Köster, (ganz rechts) Leiterin des Krebsberatungszentrums Westküste. Weitere Informationen zum Projekt und zu kommenden Veranstaltungen gibt es online unter www.unterwegs-trotz-alledem.de.
Peter Bartsch
Ehrenvorsitzender im Landesvorstand der DEHOGA Schleswig-Holstein.
Als selbst Krebsbetroffener setzt er sich gemeinsam mit uns für die Entwicklung eines Konzeptes für kulinarische Inklusion ein.
Weitere Informationen zu diesem Thema: Kulinarische Inklusion.
Mein ganz persönlicher Fall, der ganz gewiss kein Einzelfall ist. J. Rusch
Fehlfunktion des Kehlkopfs: unzuverlässiger Verschluss der Luftröhre
Koordinationsstörung beim Schlucken, z. B. durch Hirnarealschäden nach Schlaganfall
Zungenbewegung eingeschränkt (z. B. nach Zungengrundtumor)
Engstellen oder Narben in der Speiseröhre
Reduzierte Sensibilität im Mund- und Rachenraum
„Stille Aspiration“ – Speise gelangt unbemerkt in die Luftröhre
Lebensbedrohliches Verschlucken (Bolusgeschehen)
Lungenentzündungen durch wiederholte Aspiration
Unterernährung, Dehydrierung
Angst vor dem nächsten Bissen
Meidung öffentlicher Orte mit Essenskontext (Restaurants, Feiern, Einladungen)
Scham durch unkontrolliertes Husten, Würgen oder Erbrechen
Vereinsamung durch Rückzug
Verlust der Teilhabe an Gemeinschaft – auch mit Familie und Freunden
Gefühl, „nicht mehr dazu zu gehören“
Depression, Suizidgedanken
„Ich bin kein Einzelfall – aber ich bin einer, der die Misere beim Namen nennt“
Spätfolgen, Wechselwirkungen und die stille Ausgrenzung nach Krebsbehandlung
Ich habe überlebt. Nach Operationen, Bestrahlung, Chemotherapie.
Was als Sieg gegen den Tumor gefeiert wurde, ist heute ein täglicher Kleinkrieg mit meinem Körper.
Totalausfall der Speicheldrüsen: über 12 Jahre Trockenheit, keine natürliche Vorverdauung
Narbenzug am Zungengrund: nach Laser-OP – mit mechanischer Auswirkung auf den Kehlkopf
Essensleitungen funktionieren unzuverlässig – mal geht’s, mal geht’s in die Luftröhre
Engpassgefühl in der Speiseröhre – nicht sichtbar, aber real
Unkalkulierbarkeit: Mal Über-, mal Unterfunktion – medizinisch schwer greifbar
Als wäre mein System schon nicht labil genug, kam ein sogenannter „wakeup stroke“ dazu.
Seitdem habe ich das Gefühl, dass meine Warnsensoren verrücktspielen – meine Wahrnehmung ist inkongruent, trügerisch.
Geruch, Geschmack, Körpersensorik entkoppelt von realen Reizen
Die Zunge als ehemals sensibler Wächter meldet falschen Alarm – oder gar keinen
Angst vor jedem Bissen – nicht diffus, sondern konkret, erinnerungsbeladen
Ich bin nicht mehr der, der ich war.
Und nicht nur, weil ich nicht mehr so esse – sondern weil ich nicht mehr dazugehöre.
Der Schlaganfall hat in meinem Gehirn eine Art Überreagierer installiert
Schon kleinste Signale lösen Alarm aus – körperlich wie emotional
Ein wachsendes Gefühl der Unzulänglichkeit: „Ich bin zu kompliziert für diese Gesellschaft.“
Rückzug, Beschämung, Sprachlosigkeit – sogar gegenüber der eigenen Familie
Latente Suizidgedanken sind kein Tabubruch – sie sind ein Symptom der Ausgrenzung
Jeder meiner Ärzte hat seine Aufgabe gut gemacht. Aber keiner hat die anderen gefragt.
Mein Zustand ist keine Addition einzelner Befunde – sondern ein Puzzle, dessen Teile nie zusammengesetzt wurden.
Es braucht interdisziplinäre Fallkonferenzen für Krebspatienten mit komplexen Spätfolgen
Es braucht Standardroutinen zur Erfassung von Wechselwirkungen
Es braucht mehr psychosoziale Begleitung – auch und gerade in der Spätphase
Es braucht Plattformen für Patientenstimmen, die nicht aufgeben, sondern aufzeigen
Ich habe mich entschlossen, aus meiner Erfahrung ein Projekt zu machen.
Damit das, was mich isoliert hat, andere verbinden kann.
Entwicklung von kulinarischen Begegnungsräumen für Menschen mit Schluckstörungen
Sensibilisierung von Gastronomie, Hotellerie und Pflege
Öffentlichkeitsarbeit, künstlerische Mittel, Ausstellungen, Webplattform
Ziel: Teilhabe durch Verständnis. Genuss trotz Einschränkung. Würde statt Brei.
Ein Festmahl – ohne Angst
Geburtstage, Festtafeln, gesellige Runden: Für viele Krebsüberlebende mit Schluckstörungen sind solche Einladungen mit Scham, Unsicherheit und vor allem Angst verbunden – Angst vor Erstickung, Hustenanfällen oder dem Gefühl, wieder einmal nicht "dazuzugehören".
Gestern durfte ich etwas erleben, das ich so noch nie kannte: Der Küchenchef des Landgasthauses Dückerstieg hat für mich das festliche Hauptgericht mit Kalb und Huhn so fein püriert und wohlschmeckend angerichtet, dass ich bedenkenlos mitfeiern konnte. Kein Husten, kein Stress – nur Genuss. Endlich einmal Teil der Runde sein, ohne mich erklären zu müssen.
Solche Gesten zeigen: Kulinarische Inklusion ist machbar. Mit Respekt, Wissen und etwas Kreativität können Restaurants betroffenen Menschen ein Stück Lebensqualität zurückgeben. Für mich war es ein großer Moment. Für die Küche war es nur ein kleiner Handgriff.
Ausführliche Infoblätter können Sie selbst heruntergeladen und ausdrucken. Sollten Sie dennoch einen Ausdruck benötigen, können Sie eine Anfrage per E-Mail senden:
info@kopf-hals-mund-krebs.de
Selbsthilfe App als Download
Ausführliche Infoblätter können Sie selbst heruntergeladen und ausdrucken. Sollten Sie dennoch einen Ausdruck benötigen, können Sie eine Anfrage per E-Mail senden:
info@kopf-hals-mund-krebs.de
https://www.kopf-hals-mund-krebs.de/informationsmaterial/
Die sogenannte Dysphagie kann einen mitten im Leben treffen und löscht häufig die Freude am Essen komplett aus. Doch das soll nicht so bleiben! Dickflüssige oder breiige Nahrung muss nicht unattraktiv sein und kann wirklich gut schmecken. Neben einer umfangreichen Rezepte-Sammlung für verschiedene Dysphagie-Stufen enthält das Buch auch zahlreiche Tipps für den Alltag aus Betroffenensicht. Den Leser erwarten Vorspeisen, Suppen, Hauptspeisen, Nachtische und Getränke. Darüber hinaus gibt die Autorin Ratschläge für Restaurantbesuche und Reisen. Besonders wer selbst im Familienalltag eingebunden und von Dysphagie betroffen ist oder für die Großeltern mitkocht, wird die Rezepte, die auch für Normalesser geeignet sind, zu schätzen wissen.
KONTAKT:
Jens Rusch
TELEFON: 04852 4848
Schulstrasse 38
25541 Brunsbüttel
jensrusch@gmx.de