Sator arepo

 

Die Hermetik des kleinen Besprechungsraumes mit der kryptischen Bezeichnung „Sator arepo“ im Hamburger Logenhaus ist vom Publikumsverkehr des Logenrestaurants wohltuend abgeschirmt. Eine wichtige Voraussetzung für alle Interviewpartner des Redakteurs des Magazins „Humus und Humanität“. Bruder Anatol Buchwald tippt die Antworten auf seine Fragen blind in sein Tablet. Er mag keine Voice-Recorder und bevorzugt alte Gewohnheiten. Er gehört einer Generation zwischen Bleisatz und Digitalisierung an, die technische Neuerungen eher den alten Routinen anpasste, als umgekehrt.

 

„Ich habe im Matrikel-Verzeichnis der Vereinigten Großlogen von Deutschland keinen Hinweis auf Eure Magic Carpet Lodge gefunden. Werdet Ihr vom Großsekretariat nicht als regulär zugelassen?“

 

„Das hat andere Gründe“, antwortet  Bruder Fabian Hansen. „Die einfachste Umschreibung wäre vielleicht, dass wir uns genehmigungstechnisch seit Jahren in einer Warteschleife befinden, die unser Logenmeister einmal mit dem Möbiusband verglich.“ Die anderen beiden Interviewpartner lachen kurz auf, wie es Eingeweihte zu tun pflegen, wenn sich eine Frage immer und immer wiederholt.

 

„Dann lasst uns gleich zum Thema kommen. Mein Interesse ist, wie ich bereits telefonisch andeutete, nicht ausschließlich redaktioneller Art. Unsere Freigärtner-Loge  „Aurora florealis“ hat aus einer Insolvenzmasse ein riesiges Areal mit beheizbaren Treibhäusern erworben. In diesen lassen sich computergesteuert die klimatologischen Voraussetzungen aller Weltregionen präzise nachbilden. Nun haben wir Lizenzen erwerben können, die uns erlauben, für Forschungszwecke auch halluzinogene Pflanzen anzubauen.“

 

„Die Importwege sind uns bestens bekannt, dafür konnten wir bislang unsere Netzwerke hervorragend instrumentalisieren. Insbesondere auf unsere niederländischen Brüder war immer Verlass. Aber diese Neuigkeit bietet natürlich auch uns völlig neue Möglichkeiten“. Schwester Gretchen Garbo stellt ein verziertes Kästchen  auf den Tisch, das Buchwald an einen Schuhkarton mit Löwenfüßchen erinnert, auf dessen Deckel zwei geflügelte Frauengestalten knien.

 

„Aber bewegt Ihr Euch damit nicht messerscharf am Rande der Legalität“? will er wissen.

„Die teilnehmenden Brüder ….“ „…. und Schwestern“ wirft Gretchen Garbo ein. „Also, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Reisen versorgen sich völlig eigenverantwortlich, bevor sie das Logenhaus betreten. Damit unterliegen sie lediglich der gesetzlichen Regelung für Eigenbedarf.“

„Es gibt also auch gemischte Logen?“ fragt Buchwald nach.

 

„Es gibt drei Magic Carpet Logen, eine rein feminine, eine maskuline und eine gemischte Loge, aber erst die männerdominierte ist bislang in sich so gefestigt, dass sie auch aktiv arbeiten kann. Die beiden anderen sind noch im Aufbau. Wir tauschen unsere Referenten und Beamten noch untereinander aus. Solch spezielle Brüder und Schwester wachsen nicht auf den Akazien“. Wieder bemüht sich Bruder Fabian Hansen, die leicht verkrampfte Stimmung etwas aufzulockern.

 

„Apropos „Die Akazie ist mir bekannt“ …, nimmt Buchwald die Steilvorlage auf. „es dürfte nur wenigen Freimaurern bekannt sein, dass auch die Akazie, die ja in der Freimaurerei eine sehr bedeutende symbolische Rolle spielt, eines der wirksamsten Halluzinogene enthält, oder?“

 

Nun meldet sich auch Rolf Auchstein zu Wort. Endlich wird das Fachgebiet des Altonaer Apothekers angesprochen. Er öffnet den schuhkartongroßen Kasten und holt einige Blätter heraus:

„Einige Akazienarten enthalten DMT. Dieses wirkt intensiv auf den visuellen Cortex des Gehirns ein und führt zu einer ausgeprägten Veränderung des visuellen Erlebens. Der Konsument bleibt sich in der Regel der Tatsache bewusst, dass er berauscht ist, und unterliegt im strengeren Sinn keinen Sinnestäuschungen, sondern extremen Formen von Pseudohalluzinationen. Höhere Dosierungen führen teils zur Wahrnehmung anderer Realitäten. Der Konsum kann zu Erlebnissen führen, die einer Nahtoderfahrung ähnlich sind.

 

„Ja, das ist uns durchaus aus der Schilderung alter Orakel und Mysterienkulte bekannt. Ich denke nur mal an die Schilderungen der Mysterien von Eleusis. Bei denen wurde nach dem Zug nach Eleusis gefastet und ein spezieller Trank, den man Kykeon nannte, zu sich genommen wurde. Ist Euch diese Rezeptur bekannt?“ Buchwald war das vielsagende Lächeln des Apothekers nicht entgangen.

 

Auchstein weicht aus: „Man hat das meist recht verschleiert dargestellt. Beim Orakel von Delphi heißt es beispielsweise: Die Pythia sitzt auf ihrem Tripod über der Erdspalte, aus der nach dem Mythos die Verwesungsgase des von Apollon getöteten Python hochsteigen. Durch die Gase verfällt sie in eine Art Trance und dient dadurch dem Apollon als Medium. Das mag man glauben oder nicht, niemand kann heute beweisen, was die Gute zuvor getrunken oder inhaliert hatte.

 

„Lasst uns bitte auch über den eigentlichen Sinn und Zweck dieser, sagen wir einmal „Reisevorbereitungen“ reden, kommt Buchwald auf sein Hauptthema zurück. Halluzinogen sind ja, wenn ich das richtig verstanden habe, lediglich als Starthilfe für die beabsichtigten Zeitreisen Eurer Logen zu verstehen? Könnt Ihr mir dazu in komprimierter Form etwas erzählen? Es wäre toll, wenn Ihr das so darstellen könntet, dass unsere lesenden Brüder das auch nachvollziehen können.“

 

Alle Interviewpartner lachen geichzeitig laut und ungehemmt auf.

„Du bist gut. Wir nehmen an vierteljährlichen Seminaren im Kloster Maulbronn oder im Freimaurergarten der Stiftung Luisenlund teil, um uns vorzubereiten. Und Du willst das mühsam Erlernte oder Angeeignete in wenigen Sätzen vermittelt erhalten?“ Fabian Hansen wirkt schon ein wenig empört. "Bitte vergiss auch nicht, dass wir nur Brüder oder Schwestern aufnehmen, die mindestens zehn Jahre dabei sind und an rituellen Meditationen spezieller Tempelarbeiten teilgenommen haben."

 

„Okay, das ist nachvollziehbar, bitte entschuldigt. Aber könnt Ihr mir vielleicht etwas zur besonderen Rolle Eurer doch sehr speziellen Arbeitstafeln sagen?“

 

„Die Arbeitstafeln sind zwar speziell für diese Zeitreisen angefertigt, aber ihre Funktionalität hängt überwiegend bis ausschließlich von der Sehweise der teilnehmenden Brüder ab“.

 

„Du meinst „Sichtweise“?

 

„Nein, keineswegs. Erinnerst Du Dich an die Bilder der Buchreihe „Magic Eye“ aus den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts? Es handelte sich um sogenannte Stereogramme, die ein gewisser Tom Baccei entwickelt hatte. Nicht alle Menschen sind dazu in der Lage, die 3-D-Objekte in den Magic-Eye-Bildern zu sehen. Die Hauptursache liegt dabei bei einer ungenügenden bzw. fehlerhaften Zusammenarbeit der Augen, etwa bei Sehstörungen wie dem Schielen, einer stark ausgeprägten Augendominanz oder bei einer Hornhautverkrümmung.“

Man merkt, wie sehr sich Gretchen Garbo für das Thema engagiert.

 

„Und so wurde nun also auch Eure Arbeitstafel konstruiert?“

„Ja, wir haben das große Glück, dass zu unseren Mitgliedern ein Künstler gehört, der sowohl die realistische Malerei, wie auch die Nachbearbeitung am Computer beherrscht.“ Unüberhörbarer Stolz klingt in der Stimme des Apothekers mit, dem Paten und Bürgen des genannten Bruders.

„Ihr erlernt also, diese Tafel dreidimensional zu erkennen? Ist dieses Sehtraining Bestandteil Eurer Kloster-Seminare? Und helfen Euch die Halluzinogene denn wirklich dabei?“ Buchwald überprüft mit schnellem Blick die Aufzeichnungen auf seinem Tablet.

 

„Nicht nur. Wenn wir den Blick durch die Arbeitstafel erst einmal eingestellt haben, erfassen wir auch die übrigen versammelten Personen, ja den gesamten Tempelraum auf die gleiche Weise und der jeweilige Wortbeitrag führt uns dann auf fast hypnotische Weise suggestiv und gemeinsam in die ausgewählte Zeitdimension.“

 

Die ernsten Blicke signalisieren Fabian Hansen, dass er nun bereits fast schon zuviel erzählt habe.

Buchwald hätte gern noch gewusst, ob die Namen des Logenmeisters und seines abgeordneten Stellvertreters Pseudonyme oder Echtnamen wären. Stuhlmeister Bruder Timothy Leary und Manley P. Hall klangen in seinen Ohren so überhaupt nicht hanseatisch. Aber da waren seine Gesprächspartner bereits aufgestanden und gesellten sich im Restaurant des Logenhauses zu den anderen Besuchern.