Watt-Gedenksteine

„Die Watt-Gedenksteine sind aus einem stillen Bedürfnis entstanden.

Als wir bei der Wattolümpiade liebe Freunde an der Krebsfront verloren, begann ich, die großen Flutsicherungssteine mit ihren Namen zu versehen. Zuerst war es nur mein persönliches Ritual – ein Versuch, ihnen einen Platz im Watt zu geben, dort, wo wir gemeinsam lachten und kämpften.

Mit der Zeit fiel mir auf, dass andere diesen Gedanken aufgriffen. Hinterbliebene setzten eigene Namen hinzu. Aus einem spontanen Akt wuchs ein stilles, gemeinsames Zeichen: Hier sind sie noch ein wenig dabei.

Die Elbe, dieser Gedankenfluss, trägt Erinnerungen fort und bringt sie zugleich zurück. Zwischen Ebbe und Flut, zwischen Kommen und Gehen, stehen die Steine wie kleine Anker gegen das Vergessen. Sie erzählen von Verlust – und zugleich davon, dass niemand wirklich fort ist, solange wir ihn im Herzen tragen.“

Die Elbe - der Gedankenfluss

Es gibt gute Ideen, die sehr spontan entstehen – und es gibt Ideen, die sich langsam entwickeln. In diesem Fall war der Ursprung eine traurige Hilflosigkeit, denn in den Jahren unserer „Wattolümpiaden“ verloren wir immer wieder liebe Mitstreiter und Mitstreiterinnen an der „Krebsfront“. Ohne groß nachzudenken, begann ich, die markanten Flutsicherungs-Steine, die unsere Wattkampf-Arena markieren, mit ihren Namen zu versehen. Einfach weil es mir das Gefühl gab, sie könnten auf diese Weise doch noch ein wenig dabei sein. Daraus wurde im Laufe der Jahre so etwas wie ein ritueller Akt, der mit Erinnerungen und sensiblen Gedanken einherging. Es mag albern klingen, aber es fühlte sich wie ein mentaler Dialog an. Dann bemerkte ich, dass mein bescheidenes Handeln Aufmerksamkeit erzeugte. Gespräche am Deich nahmen einen Verlauf, die ohne diese Steine wohl nicht so entstanden wären. Ein Signal für die Lebenden: „wir vergessen niemanden“ wurde manchmal auch als „dereinst werde auch ich nur noch in der Erinnerung meiner Lieben existieren“. Waren diese Watt-Gedenksteine ursprünglich nur für die „Gefallenen“ aus unseren eigenen Reihen gedacht, so entdeckten wir immer häufiger Gedenksteine, die Hinterbliebene völlig selbstständig beschriftet hatten. Aus einer Idee war ein organischer Prozess geworden. Zunächst erfuhr ich mehrfach, dass Hinterbliebene, die ihre Lieben per Seebestattung der Nordsee übergeben hatten, bei ihren Spaziergängen am Elbdeich mangels besuchbarer Grabstätte gern einen sensiblen Dialog mit dem fließenden Wasser der Elbe aufnehmen. Wo erfährt man so etwas ? Welcher Seelsorger oder Psychotherapeut weiß denn, was sich an Gefühlen und mentalen Vorgängen insgeheim und verborgen in den Seelen von Hinterbliebenen entwickelt ? Unsere Welt ist voller ritueller Ersatzhandlungen. Nun gibt es unsere Wattolümpiade nicht mehr. Das Sinnvollste daran, die empathische Charity-Aktion ist erloschen, aber unzweifelhaft ist ein wichtiges Grundbedürfnis wie geschildert latent geblieben.

2025

Sonntag 30. August 2025

Unser Wattprediger Eddi, der uns zwanzig Jahre durch alle Wattolümpiaden begleitet hat, verstand es auch dieses mal, dem Anlass mit seinen Worten Seele einzuhauchen. Mit seinen 92 Lebensjahren kämpfte er sich abermals über den wenig inklusiv gestalteten Deich und weihte den Ort, den er längst "Kultstätte" nennt.

Von den teilnehmenden Hinterbliebenen wurde angeregt, diese Aktion auch im nächsten Jahr wieder zu organisieren. Einerseits, um verwitterte Schriften nachzubessern, andererseits aber auch um dieses Gefühl des Nichtalleineseins gemeinsam zu zelebrieren. Ein Picnic sollte es werden, kein trauriges Treffen. Nun denken wir darüber nach, wie man das anstellen könnte.