Die Indianerloge

 

 

Über Indianerlogen weiß man in Deutschland wenig. Möglicherweise, weil Karl May nie etwas darüber geschrieben hat.

 

Man erhält jedoch hinreichend Informationen im Freimaurer-Wiki: Indianerlogen

 

 

Als die drei Brüder das Logenhaus „Akazia im hohen Norden“ in der Siedlung Mississauga betreten, werden sie gleich vom Logenmeister Abraham Johansson abgefangen und in das Meisterzimmer geleitet:

„Es ist schon kompliziert genug, erzählt bitte auf gar keinen Fall, woher Ihr kommt, meine Brüder. Wir versuchen seit Monaten, den Indianern unser Freimaurer-Konzept zu erklären.  Die Vorstellung von Zeitreisenden würde unsere Glaubwürdigkeit völlig infrage stellen.“

 

Während er mit den drei Besuchern spricht, nimmt er das Calumet, die heilige Friedenspfeife, aus seinem Schrank, der einer Wunderkammer voller Devotionalien gleicht und stopft den Kopf mit einem Gemisch aus Akazienblättern und wildem Süßgras und Salbei. Die europäischen Siedler haben anscheinend sehr früh die Bedeutung dieses Symbols erkannt und verwenden sie so wie einen Diplomatenpass zur Durchsetzung ihrer Ziele. Johansson sieht die fragenden Blicke seiner Besucher.

 

„Solch eine Friedenspfeife ist bei wichtigen Zusammenkünften nicht nur hilfreich, sondern eigentlich unverzichtbar. Sie dient den Häuptlingen im Indianer-Alltag zur Vermittlung zwischen ihren Göttern und Schutzgeistern und ist außerdem ein Symbol der Gastfreundschaft. Wir haben eine für unseren Stuhlmeister schnitzen lassen.“

Er weist auf Zirkel und Winkel auf dem Pfeifenkopf.

„Die Idee kam uns, als wir dem Stamm erklären mussten, daß ein Logenmeister eigentlich auch nichts anderes als ein Häuptling sei“.

 

Die drei Hamburger Brüder lachen kurz auf und blicken auf ihren mitgereisten Bruder Lars Börnsen, der sich ganz sicher nach ihrer Rückreise in der Hamburger Magic Carpet Lodge noch sehr häufig als „Häuptling“ bezeichnen lassen muss.

 

„.Oft gehört der für die Pfeife Verantwortliche zu den einflussreichsten Männern seines Stammes. Meist ist es eben der Häuptling. Manche Indianergruppen – wie die Pawnee, Iowa und Ponca – verwenden die Pfeife nur paarweise. Diese Art der Verwendung steht symbolisch für die Zweiteilung der Welt, wie Himmel und Erde, Mann und Frau oder Tag und Nacht. Wenn Ihr so wollt, sind wir mit unserem musivischen Fußboden dem Symbolverständnis der Indianer recht nahe. Auch die Verzierungen der Pfeife folgen einer strengen Symbolik. Eulenfedern symbolisierten die Nacht, Adlerfedern den Tag und rote Rillen auf der Unterseite stehen für den „Pfad des Friedens“. Die Calumet , so nennen sie diese Pfeife, ist den Indianern ausgesprochen heilig, sie wird beispielsweise auch über den Angehörigen eines Stammes geschwenkt, um ihnen zu Frieden, Glück und Reichtum zu verhelfen.“

 

Lars Börnsen muss daran denken, dass die Friedenspfeife auch heute noch ein gebräuchliches Symbol für eine Streitschlichtung darstellt. In seinem Kopf tauchen Bilder des Dalai Lama auf, der gemeinsam mit dem Papst solch eine Pfeife raucht. Er ist sich nicht ganz sicher, aber es muss um 1986 gewesen sein. Damals beteten Religionsführer gemeinsam für den Frieden: Neben den Papst dem buddhistischen Dalai Lama, dem anglikanischen Erzbischof von Canterbury und dem russisch-orthodoxen Metropoliten von Kiew, dem jüdischen Oberrabbiner von Rom und dem islamischen Scheich aus Marokko, den indischen Oberpriestern des Zarathustra-Kultes, des Hinduismus und der Sikhs; da waren auch noch die Generalsekretäre von Methodisten, Baptisten und Quäkern vereint mit den orthodoxen Metropoliten aus Finnland und der Tschechoslowakei, mit langbärtigen Kirchenfürsten aus dem sowjetischen Armenien und aus Georgien, mit barfüßigen afrikanischen Animisten und federgeschmückten indianischen Medizinmännern aus Nordamerika, die am Ende feierlich ihre Friedenspfeife entzündeten. Es wohl war der einzige Weihrauch des Tages. Er hätte sich zu gern den Großmeister der englischen Großloge in diese Runde hineingewünscht.

 

Johansson kommt zum Schluss und drängt zur Tür des Tempels, den man heute zum Versammlungssaal umgestaltet hat:

„Der Legende der Lakota nach wurde dieses Calumet den Menschen durch die mythische Figur Weiße Büffelkalbfrau geschenkt, zusammen mit den Sieben Riten. Der Tradition entsprechend symbolisiert die Pfeife den Menschen, der auf der Achse der Welt steht. Der Pfeifenkopf steht für Mutter Erde, der Pfeifenstiel für das menschliche Ich und den Evolutionsweg des Menschen. Das Pfeifenrohr wird aus dem Holz der Weißesche hergestellt, die das gesamte Pflanzenreich vertritt. In der Vereinigung dieser Kräfte steigt mit dem Rauch, der Seele, das Gebet der Menschen auf zum Großen Geist. Die Pfeife stellt in dieser Vorstellung eine Nabelschnur dar, die den Menschen mit dem Universum verbindet. Wie bei den anderen Zeremonien ist auch bei der Friedenspfeife das Bewusstsein von Ganzheitlichkeit, von Kreisprozessen und von der Verbindung der Pole ein wesentliches Element.“

 

„Aha, und um dieser Vorstellung etwas Nachdruck zu verleihen, hast Du die Akazienblätter hinzugemischt?“ flüstert ihm Börnsen hinzu und beide müssen lächeln.

Ihm ist als Biologe am Max Planck-Institut durchaus bekannt, dass das rituelle Verbrennen psychotroper Substanzen vermutlich den Beginn des Rauchens schlechthin markiert.

 

Als sie den Tempel betreten, fühlen sie sich zunächst durch die große Menge der geschmückten Gäste fast ein wenig bedrängt. Die ebenfalls anwesenden Logenbrüder fallen im schwarzen Frack fast ein wenig wie Ordnungshüter ins Auge. Man hat glücklicherweise die großen Fenster geöffnet und die Lichtklappen abgebaut, denn der Geruch nach Pferdeschweiss ist in diesem Raum doch recht ungewohnt.

 

Ein Dolmetscher, der zuvor für die Regierungstruppen tätig war, übernimmt die Übersetzung der Höflichkeiten, während in kleinen Schalen nun ebenfalls Süßgras und Salbei angezündet wird. Das verbessert den Geruch im Tempel ganz erheblich. Dieser Rauch soll nach der Vorstellung der Mississauga-Indianer positive und negative Energien anziehen und böse Geister verjagen. Die Heilige Pfeife wird von Norden nach Süden und von Osten nach Westen durch den Rauch gezogen und im Uhrzeigersinn in alle sechs Himmelsrichtungen (Westen, Norden, Osten, Süden, oben/Himmel und unten/Erde) gehalten. Dann wird sie angezündet und es werden vier Züge für die Großväter der vier Himmelsrichtungen geraucht. Anschließend wird sie, wieder im Uhrzeigersinn, durch den Kreis der Versammelten gereicht.

 

Ein wichtiger Ritualgegenstand ist auch der Pfeifenbeutel, der nach der Überzeugung der Mississauga positive und negative Energien speichert und die Pfeife so in einem ständigen Energiefeld hält. Durch die Fransen, die bis zur Erde reichen, werden Erdkräfte aufgenommen und in den Beutel geleitet. Die Urpfeife wird zusammen mit verschiedenen Gegenständen, zum Beispiel der – laut Überlieferung der Mississauga – ersten von Menschen gefertigten Pfeife, in einem Medizinbeutel aufbewahrt, und von einem dazu bestimmten Hüter geschützt. Der 19. Hüter, Arvol Looking Horse, verwahrt sie mit anderen heiligen Gegenständen in einem eigens dafür errichteten achtseitigen Haus. Der Beutel wird nur unter besonderen rituellen Vorkehrungen und zu besonderen Anlässen, zum Beispiel nach dem Sonnentanz, der Öffentlichkeit gezeigt. Heute trägt ihr Häuptling „Zwei Stämme“ diesen Beutel stolz an seiner Seite.

 

Da auch den Logenbrüder der „Akazia im hohen Norden“ dessen Bedeutung bewusst ist, hat man heute im Tempel eine der drei Säulen abgebaut und mit einem schwarzen Tuch verhüllt auf die Seite gelegt. Auch die Stühle hat man entfernt, denn nun knien sich alle in einem großen Kreis auf den Boden, während die Friedenspfeife noch ihre Runde macht.

 

„Wir sind stolz darauf, uns allen in diesem Haus, das für uns einen heiligen Boden darstellt, gemeinsam in einem würdigen Ritual der Gastfreundschaft zu befinden. Da sich Euer Stammesgrund- und Boden fügt er mit leicht erhobener Stimme und ernstem Blick hinzu – unmittelbar an unser Logenhaus anschließt, möchten wir hier und heute gemeinsam mit Euch zu einer friedlichen Einigung kommen.

 

Wie Ihr unschwer festgestellt habt, ist dieser Tempel für uns zu klein geworden. Zwei Drittel unserer Brüder sind heute gar nicht erst erschienen, weil wir sonst diese Handlung im Freien hätten abhalten müssen.

Deshalb möchten wir Euch heute ein Angebot machen, das dem Wert Eures Bodens mehr als entspricht.“ Er nickt dem Häuptling „Zwei Stämme“ zu, der nun das Wort ergreift. Jeder seiner Sätze, nach denen er eine kurze Pause einlegt, wird vom Dolmetscher, der sitzen geblieben ist, übersetzt.

„Wir wissen, dass Ihr Euch Brüder nennt. Deshalb spreche ich Euch auch als Brüder an. „ Seine kraftvolle, sonore Stimme erfüllt den ehrwürdig stillen Raum. Man würde eine Feder zu Boden fallen hören.

 

„Wir wissen, dass Ihr uns für unseren Boden, der uns von der Regierung zugebilligt wurde und von dieser zuvor ausgemessen wurde, gerne abkaufen möchtet. Wir haben das nie verstanden, denn nach unserer Auffassung kann man Erde und Boden nicht verkaufen. Dieser Boden gehört uns allen, oder er gehört niemandem von uns. Geld oder Gold, das wir dafür von erhalten würden, wäre also völlig wertlos, weil es dafür keinen wirklichen Gegenwert geben würde. Wenn wir jedes mal, wenn wir unseren Wigwam abbauen würden, um den Bisonherden zu folgen, verkaufen müssten und an anderer Stelle mit saftigerem Grün einen Platz neu erwerben müssten, wären die Bisonherden längst weiter gezogen.

 

Deshalb sind unsere Stammesältesten zu einem anderen Entschluss gekommen, von dem wir Euch hier und heute erzählen möchten.“

Er setzt sich,  kreuzt die Beine übereinander und blickt kurz zu einem der Stammesältesten hinüber, der sich auf die Schultern seiner beiden Nachbarn stützen muss, als er sich erhebt:

 

„Meine Brüder“, er lässt seinen Blick über alle Anwesenden gleiten und fast scheint es, als bemühe er sich, niemanden zu übersehen,

„Ihr habt uns bei unseren Treffen berichtet, Eure Loge sei unserem Stamm sehr ähnlich. Euer Häuptling würde nur deshalb Logenmeister genannt, weil diese würdige Bezeichnung Eurer Sprache und Kultur entspricht. Eure Logenmitglieder hätten alle die gleichen Rechte und Pflichten, niemand sei mehr wert als der andere – und genau so ist es ja auch bei unseren Stammesmitgliedern. Keiner dürfe einen Bruder übervorteilen, verletzen oder berauben, er dürfe außerhalb seines Stammes – schnell korrigierte er sich – außerhalb seiner Loge über Vertrauliches über Geschehnisse und Geheimnisse in seinem Wigwam berichten. Das ist bei uns ebenfalls nicht anders. Zerstrittene Brüder dürfen den Tempel nicht betreten, wenn sie nicht zuvor ihre Zwietracht überwunden hätten, um den Geist dieses Ortes nicht zu beschädigen oder zu vertreiben.

 

Wir haben also keinerlei Mühe damit, unser Denken und unser Empfinden mit Euch in Einklang zu bringen. Deshalb schlagen wir Euch vor, dass unsere Stammesmitglieder in Eure Loge eintreten und Eure Brüder Mitglieder unseres Stammes werden“.

 

Er setzt sich langsam und stützt sich dabei wieder auf den Schultern seiner jüngeren Nachbarn ab.

Die sparsamen Gesichtsausdrücke der weißen Freimaurer werden sicherlich in den Büchern über die kanadische und amerikanische Besiedlungsgeschichte eine besondere Erwähnung finden. Bruder Lars Börnsen macht sich jedenfalls eine Gedächtnisnotiz, um diesen besonderen Moment in seinem Reisebericht für die Hamburger Brüder besonders hervorzuheben.

 

Fortsetzung folgt.


Wenn es anderen an Humor mangelt, muss man sich seine eigenen Witze basteln. Nachdem man mich darauf aufmerksam gemacht hatte, dass man in den USA heute nicht mehr "Indianerlogen" sagt, sondern die Indianer lieber "Native Americans" nennt, obwohl sich die Indianerlogen selbst "Indian Lodges" nennen und ich, als ich bei Google "Indian Lodges" eingab auf die Großloge von Indien geleitet wurde, kam ich auf die Idee, meinen indianischen Freimaurer mit einem Schurz der Grandlodge of Western-India auszustatten. Mir ist klar, dass ich höchstwahrscheinlich der einzige bin, der das lustig findet, aber das ist mir recht. Und so hat mein amerikanischer Indianer nun Lotosblüten auf seinem Schurz.


Wir sind ein Teil der Erde

Erzählung nach einer Rede des Häuptlings Seattle

vor dem Präsidenten der USA im Jahre 1855

 

"Der große Häuptling in Washington sendet Nachricht, daß er unser Land zu kaufen wünscht.

Der große Häuptling sendet uns auch Worte der Freundschaft und des guten Willens. Das ist freundlich von ihm, denn wir wissen, er bedarf unserer Freundschaft nicht. Aber wir werden sein Angebot bedenken, denn wir wissen - wenn wir nicht verkaufen, kommt vielleicht der weiße Mann mit Gewehren und nimmt sich unser Land.

Wie kann man den Himmel kaufen oder verkaufen - oder die Wärme der Erde? Diese Vorstellung ist uns fremd. Wenn wir die Frische der Luft und das Glitzern des Wassers nicht besitzen - wie könnt ihr sie von uns kaufen? Wir werden unsere Entscheidung treffen.

Was Häuptling Seattle sagt, darauf kann sich der große Häuptling in Washington verlassen, so sicher, wie sich unser weißer Bruder auf die Wiederkehr der Jahreszeiten verlassen kann.

Meine Worte sind wie die Sterne, sie gehen nicht unter. Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig, jede glitzernde Tannennadel, jeder sandige Strand, jeder Nebel in den dunklen Wäldern, jede Lichtung, jedes summende Insekt ist heilig in den Gedanken und Erfahrungen meines Volkes. Der Saft, der in den Bäumen steigt, trägt die Erinnerung des roten Mannes.

Die Toten der Weißen vergessen das Land ihrer Geburt, wenn sie fortgehen, um unter den Sternen zu wandeln.

Unsere Toten vergessen die wunderbare Erde nie, denn sie ist des roten Mannes Mutter.

Wir sind ein Teil der Erde, und sie ist ein Teil von uns.

Die duftenden Blumen sind unsere Schwestern, die Rehe, das Pferd, der große Adler - sind unsere Brüder.

Die felsigen Höhen, die saftigen Wiesen, die Körperwärme des Ponys und des Menschen - sie alle gehören zu der gleichen Familie.

Wenn also der große Häuptling in Washington uns Nachricht sendet, daß er unser Land zu kaufen gedenkt, so verlangt er viel von uns.

Der große Häuptling teilt uns mit, daß er uns einen festen Platz gibt, wo wir angenehm und für uns leben können. Er wird unser Vater sein und wir seine Kinder. Aber kann das jemals sein? Gott liebt euer Volk und hat seine roten Kinder verlassen. Er schickt Maschinen, um dem weißen Mann bei seiner Arbeit zu helfen, und baut große Dörfer für ihn. Er macht euer Volk stärker, Tag für Tag. Bald werdet ihr das Land überfluten, wie Flüsse Schluchten hinabstürzen nach einem unerwarteten Regen.

Mein Volk ist wie eine ebbende Gezeit - aber ohne Wiederkehr. Nein, wir sind verschiedene Rassen. Unsere Kinder spielen nicht zusammen, und unsere Alten erzählen andere Geschichten. Gott ist euch gut gesonnen, und wir sind Waisen. Wir werden euer Angebot, unser Land zu kaufen, bedenken. Das wird nicht leicht sein, denn dieses Land ist uns heilig.

Wir erfreuen uns an diesen Wäldern. Ich weiß nicht - unsere Art ist anders als die eure.

Glänzendes Wasser, das sich in Bächen und Flüssen bewegt, ist nicht nur Wasser - sondern das Blut unserer Vorfahren. Wenn wir euch Land verkaufen, müßt ihr wissen, daß es heilig ist, und eure Kinder lehren, daß es heilig ist, und daß jede flüchtige Spiegelung im klaren Wasser der Seen von Ereignissen und Überlieferungen aus dem Leben meines Volkes erzählt.

Das Murmeln des Wassers ist die Stimme meiner Vorväter.

Die Flüsse sind unsere Brüder, sie stillen unseren Durst. Die Flüsse tragen unsere Kanus und nähren unsere Kinder.

Wenn wir unser Land verkaufen, so müßt ihr euch daran erinnern und eure Kinder lehren: Die Flüsse sind unsere Brüder und eure -, und ihr müßt von nun an den Flüssen eure Güte geben, so wie jedem anderen Bruder auch. Der rote Mann, zog sich immer zurück vor dem eindringenden weißen Mann - so wie der Frühnebel in den Bergen vor der Morgensonnen weicht. Aber die Asche unserer Väter ist heilig, ihre Gräber sind geweihter Boden, und so sind diese Hügel, diese Bäume, dieser Teil der Erde uns geweiht. Wir wissen, daß der weiße Mann unsere Art nicht versteht. Ein Teil des Landes ist ihm gleich jedem anderen, denn er ist ein Fremder, der kommt in der Nacht und nimmt von der Erde, was immer er braucht.

Die Erde ist sein Bruder nicht, sondern Feind, und wenn er sie erobert hat, schreitet er weiter. Er läßt die Gräber seiner Väter zurück und kümmert sich nicht. Er stiehlt die Erde von seinen Kindern und kümmert sich nicht. Seiner Väter Gräber und seiner Kinder Geburtsrecht sind vergessen. Er behandelt seine Mutter, die Erde, und seinen Bruder, den Himmel, wie Dinge zum Kaufen und Plündern, zum Verkaufen wie Schafe oder glänzende Perlen. Sein Hunger wird die Erde verschlingen und nichts zurücklassen als die Wüste.

Ich weiß nicht - unsere Art ist anders als die eure. Der Anblick eurer Städte schmerzt die Augen des roten Mannes. Vielleicht, weil der rote Mann ein Wilder ist und nicht versteht.

Es gibt keine Stille in den Städten der Weißen. Keinen Ort, um das Entfalten der Blätter im Frühling zu hören oder das Summen der Insekten.

Aber vielleicht nur deshalb, weil ich ein Wilder bin und nicht verstehe. Das Geklappere scheint unsere Ohren nur zu beleidigen. Was gibt es schon im Leben, wenn man nicht den einsamen Schrei- des Ziegenmelkervogels hören kann oder das Gestreite der Frösche am Teich bei Nacht. Ich bin ein roter Mann und verstehe das nicht. Der Indianer mag das sanfte Geräusch des Windes, der über eine Teichfläche streicht - und den Geruch des Windes, gereinigt vom Mittagsregen oder schwer vom Duft der Kiefern. Die Luft ist kostbar für den roten Mann, denn alle Dinge teilen denselben Atem: das Tier, der Baum, der Mensch - sie alle teilen denselben Atem. Der weiße Mann scheint die Luft, die er atmet, nicht zu bemerken. Wie ein Mann, der seit vielen Tagen stirbt, ist er abgestumpft gegen den Gestank. Aber wenn wir euch unser Land verkaufen, dürft ihr nicht vergessen, daß die Luft uns kostbar ist, daß die Luft ihren Geist teilt mit all' dem Leben, das sie erhält. Der Wind gab unseren Vätern den ersten Atem und empfängt ihren letzten. Und der Wind muß auch unseren Kindern den Lebensgeist geben. Und wenn wir euch unser Land verkaufen, so müßt ihr es als ein besonderes und geweihtes schätzen, als einen Ort, wo auch der weiße Mann spürt, daß der Wind süß duftet von den Wiesenblumen.

Das Ansinnen, unser Land zu kaufen, werden wir bedenken, und wenn wir uns entschließen, anzunehmen, so nur unter einer Bedingung: Der weiße Mann muß die Tiere des Landes behandeln wie seine Brüder.

Ich bin ein Wilder und verstehe es nicht anders. Ich habe tausend verrottende Büffel gesehen, vom weißen Mann zurückgelassen - erschossen aus einem vorüberfahrenden Zug. Ich bin ein Wilder und kann nicht verstehen, wie das qualmende Eisenpferd wichtiger sein soll als der Büffel, den wir nur töten, um am Leben zu bleiben. Was ist der Mensch ohne die Tiere? Wären alle Tiere fort. so stürbe der Mensch an großer Einsamkeit des Geistes. Was immer den Tieren geschieht, geschieht bald auch den Menschen. Alle Dinge sind miteinander verbunden.

Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde.

Ihr müßt eure Kinder lehren, daß der Boden unter ihren Füßen die Asche unserer Großväter ist. Damit sie das Land achten, erzählt ihnen, daß die Erde erfüllt ist von den Seelen unserer Vorfahren. Lehrt eure Kinder, was wir unsere Kinder lehrten: Die Erde ist unsere Mutter. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde. Wenn Menschen auf die Erde spucken, bespeien sie sich selbst. Denn das wissen wir - die Erde gehört nicht den Menschen, der Mensch gehört zur Erde. Alles ist miteinander verbunden, wie das Blut, das eine Familie vereint. Alles ist verbunden. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde. Der Mensch schuf nicht das Gewebe des Lebens, er ist darin nur eine Faser. Was immer ihr dem Gewebe antut, das tut ihr euch selber an.

Nein, Tag und Nacht können nicht zusammen leben.

Unsere Toten leben fort in den süßen Flüssen der Erde, kehren wieder mit des Frühlings leisem Schritt, und es ist ihre Seele im Wind, der die Oberfläche der Teiche kräuselt.

Das Ansinnen des weißen Mannes, unser Land zu kaufen, werden wir bedenken. Aber mein Volk fragt, was denn will der weiße Mann kaufen? Wie kann man den Himmel oder die Wärme der Erde kaufen - oder die Schnelligkeit der Antilope? Wie können wir euch diese Dinge verkaufen - und wie könnt ihr sie kaufen?

Könnt ihr denn mit der Erde tun, was ihr wollt, nur weil der rote Mann ein Stück Papier unterzeichnet und es dem weißen Manne gibt? Wenn wir nicht die Frische der Luft und das Glitzern des Wassers besitzen - wie könnt ihr sie von uns kaufen? Könnt ihr die Büffel zurückkaufen, wenn der letzte getötet ist?

Wir werden euer Angebot bedenken. Wir wissen, wenn wir nicht verkaufen, kommt wahrscheinlich der weiße Mann mit Waffen und nimmt sich unser Land. Aber wir sind Wilde. Der weiße Mann, vorübergehend im Besitz der Macht, glaubt, er sei schon Gott, dem die Erde gehört.

Wie kann ein Mensch seine Mutter besitzen?

Wir werden euer Angebot, unser Land zu kaufen, bedenken. Tag und Nacht können nicht zusammenleben - wir werden euer Angebot bedenken, in das Reservat zu gehen. Wir werden abseits und in Frieden leben. Es ist unwichtig, wo wir den Rest unserer Tage verbringen. Unsere Kinder sahen ihre Väter gedemütigt und besiegt. Unsere Krieger wurden beschämt. Nach Niederlagen verbringen sie ihre Tage müßig - vergiften ihren Körper mit süßer Speise und starkem Trunk.

Es ist unwichtig, wo wir den Rest unserer Tage verbringen. Es sind nicht mehr viele. Noch wenige Stunden - ein paar Winter - und kein Kind der großen Stämme, die einst in diesem Land lebten oder jetzt in kleinen Gruppen durch die Wälder streifen, wird mehr übrig sein, um an den Gräbern eines Volkes zu trauern, das einst so stark und voller Hoffnung war, wie das eure.

Aber warum soll ich trauern um den Untergang meines Volkes. Völker bestehen aus Menschen - nichts anderem. Menschen kommen und gehen wie die Wellen im Meer. Selbst der weiße Mann - dessen Gott mit ihm verwandelt und redet, wie Freund zu Freund, kann der gemeinsamen Bestimmung nicht entgehen. Vielleicht sind wir doch Brüder - Wir werden sehen.

Eines wissen wir, was der weiße Mann vielleicht eines Tages erst entdeckt: Unser Gott ist derselbe Gott.

Ihr denkt vielleicht, daß ihr ihn besitzt, so wie ihr unser Land zu besitzen trachtet, aber das könnt ihr nicht. Er ist der Gott der Menschen - gleichermaßen der roten und der weißen. Dieses Land ist ihm wertvoll. Und die Erde zu verletzen heißt ihren Schöpfer zu verachten.

Auch die Weißen werden vergehen, eher vielleicht als alle anderen Stämme. Fahret fort, euer Bett zu verseuchen, und eines nachts werdet ihr im eigenen Abfall ersticken. Aber in eurem Untergang werdet ihr hell strahlen, angefeuert von der Stärke des Gottes, der euch in dieses Land brachte und euch bestimmte über dieses Land und den roten Mann zu herrschen. Diese Bestimmung ist uns ein Rätsel. Wenn die Büffel alle geschlachtet sind, die wilden Pferde gezähmt, die heimlichen Winkel des Waldes schwer vom Geruch vieler Menschen und der Anblick reifer Hügel geschändet von redenden Drähten - wo ist das Dickicht? Fort! Wo der Adler? Fort! Und was bedeutet es, Lebewohl zu sagen dem schnellen Pony und der Jagd:

Das Ende des Lebens - und der Beginn des Überlebens! Gott gab euch Herrschaft über die Tiere, die Wälder und den roten Mann, aus einem besonderen Grund - doch dieser Grund ist uns ein Rätsel. Vielleicht könnten wir es verstehen, wenn wir wüßten, wovon der weiße Mann träumt, welche Hoffnungen er seinen Kindern an langen Winterabenden schildert und welche Visionen er in ihre Vorstellungen brennt, so daß sie sich nach einem Morgen sehnen. Aber wir sind Wilde - die Träume des weißen Mannes sind uns verborgen. Und weil sie uns verborgen sind, werden wir unsere eignen Wege gehen. Denn vor allem schätzen wir das Recht eines jeden Menschen, so zu leben, wie er selber es wünscht - gleich wie verschieden von seinen Brüdern er ist.

Das ist nicht viel, was uns verbindet.

Wir werden euer Angebot bedenken. Wenn wir zustimmen, so nur, um das Reservat zu sichern, das ihr versprochen habt. Dort vielleicht können wir unsere kurzen Tage auf unsere Weise verbringen.

Wenn der letzte rote Mann von dieser Erde gewichen ist und sein Gedächtnis nur noch der Schatten einer Wolke über der Prärie, wird immer noch der Geist meiner Väter in diesen Ufern und diesen Wäldern lebendig sein. Denn sie liebten diese Erde wie das Neugeborene den Herzschlag seiner Mutter.

Wenn wir euch unser Land verkaufen, liebt es, so wie wir es liebten, kümmert euch, so wie wir uns kümmerten, behaltet die Erinnerung an das Land so, wie es ist, wenn ihr es nehmt. Und mit all eurer Stärke, eurem Geist, eurem Herzen erhaltet es für eure Kinder und liebt es - so wie Gott uns alle liebt.

Denn eines wissen wir - unser Gott ist derselbe Gott. Diese Erde ist ihm heilig. Selbst der weiße Mann kann der gemeinsamen Bestimmung nicht entgehen. Vielleicht sind wir doch - Brüder. Wir werden sehen."

*

Diese Rede wurde 1855 von Chief Seattle, Häuptling der Duwamish-Indianer, vor dem Kongreß der Vereinigten Staaten von Amerika gehalten.

1856 wurde der Stamm aus seinem Wohngebiet, dem Abfluß des Washington-Sees, an die Ostküste der Bainbridge-Insel umgesiedelt, wenig später zur Holderness-Landspitze an der Westseite der Eliot-Bucht.

Wo einst die Jagd- und Fischgründe der Indianer waren, stehen heute Stahlwerke, Maschinenfabriken, Werften und viele andere Großbetriebe, darunter die ausgedehnten Anlagen der Boeing-Werke, die Flugzeuge und Raketen herstellen. Seattle, die nach dem Häuptling benannte Stadt im Staate Washington, ist ein wichtiger Handelsmittelpunkt ...